M E D I A


"Nur Haut und Knochen hatten da die Stunden ..."

Franz Kafka war ein großer Meister in der Schilderung undurchschaubarer Systeme, von Ausweglosigkeit und Ausgeliefertsein. Themen auch in manchen meiner Gedichte. Die Literaturzeitschrift "Litrobona" aus Wien hat eine Ausgabe mit dem Schwerpunktthema Franz Kafka veröffentlicht und ich freue mich sehr, dass mein Text "Ein Teller Zeit" darin aufgenommen wurde. Für die Audio-Ausgabe der Zeitschrift habe ich das Gedicht eingesprochen.


Ein Teller Zeit


Die Uhr liegt flach auf meinem Küchentisch.
Ein Teller Zeit. Und ein Besteck.
Ich aß sie oft zum kalten Abendbrot,
an meinem schäbigen Gedeck.
Nur Haut und Knorpel hatten da die Stunden,
wie Gräten stachen die Sekunden.
Wenn ich dann satt war, war sie tot.
Ich stochere in mir und in den Jahren,
warum sie damals so voll Hunger waren.

 

Die Zeiger stürzten und erhoben sich.
Die Zeit ist wieder zu Besuch.
Mit Gabeln kratzt sie über meine Uhr,
radiert sich aus dem Gästebuch.
Fällt ein, wo die Anorexien wohnen,
verschenkt die letzten Notrationen,
zerschneidet Goldrand und Glasur.
Im brühetrüben Bodensatz des Tellers
drehn sich die scharfen Zeiger immer schneller.

 

 

Jetzt ist es still. Mein Stundenteller ruht,
das Räderwerk aus Tagen steht.
Kein Ticken. Wolkenweißes Porzellan.
Ich spreche stumm das Nachtgebet.
Im kalten Küchendunst schleichen sich Schaben
und Schwärme bleicher Zytophagen
als neue Tischgenossen an.
Und an der einsam nackten Küchenwand: -
ein leerer Nagel und ein runder, grauer Rand -.



"... wenn er geht, flattern Gedichte wie welkes Laub hinter ihm her"

Mein Text als Chanson

 

Eins meiner Gedichte wurde vertont! Das hatte ich auch noch nie! Mein Text "Kennen Sie Ringelnatz?" ist jetzt in der musikalischen Fassung von Tobias Rank im Joachim-Ringelnatz-Geburtshaus in Wurzen zu hören.

 


Kennen Sie Ringelnatz?

 

Den Ringelnatz, jawoll, den kenn ich!
Persönlich? Selbstverständlich, ja!
Der hat mir mal für achtzig Pfennig
ein Bier spendiert, in so ner Bar.

 

Im Arm ein blasses, dürres Mädel.
Und noch nen Korn! Und noch ein Bier!
Ja, morgen ham wir‘n schweren Schädel.
War ihm egal! – Jetzt feiern wir!

 

War vor dem Krieg. Schwarzweißes Leben.
Er: Nur auf Achse. Heimwehkrank.
Ein großes Herz. Ein Künstler eben.
Oft nix zu futtern. Meistens blank.

 

War das in Leipzig? Oder Darmstadt?
Die Sache, mit dem Bier und Schnaps,
s‘war nicht in Wien, Hannover, Stuttgart.
Neee-neee, in Hamburg war‘s, ich hab‘s!


Ein feiner Kerl, unser Joachim.
Ein schräger Vogel. Voll Ideen.
Ja! Heute heißen Straßen nach ihm,
damals konnt‘ er oft nicht mehr steh‘n.

 

 

Ja klar, der lebt noch! Will ich meinen!
Ist meistens sogar gut gelaunt.
Ich hab‘ gehört, er hat jetzt einen -
wie heißt das? – Instagram-Account.

Nen Goldfisch und ne blinde Katze,
ganz kleines Zimmer, hinten raus.
Nachts auf ner alten Luftmatratze.
Er sagt, das macht ihm gar nix aus.


Ne große Nase, reichlich Ohren.
Denn kenn‘ Sie! Klein und nicht viel dran.
Guckt immer irgendwie verloren
von seitlich schräg sein Leben an.


Im Stadtpark sitzt er. Schreibt Geschichten
auf kleine Zettel, kreuz und quer.
Und wenn er geht, flattern Gedichte
wie welkes Laub hinter ihm her.


Den Ringelnatz, klar kennen Sie den!
Und: Wegen Schnaps und wegen Bier,
richten Sie’m aus, wenn Sie ihn mal seh‘n,
dass ich mich da noch revanchier‘!



"... ich ließ es denen, die in den Mansarden nisten"

Ein Abend im TV-Studio

 

Der Offene Kanal Neustadt war so nett, der Autorengruppe TeXtur sein Studio für Aufnahmen zur Verfügung zu stellen - vielen Dank dafür! Aus der Footage, die dort entstand, habe ich dieses Video erstellt.


Dieses Haus gehört mir nicht

 

Dieses Haus gehört mir nicht.
Es steht mit mir auf nassem Grund,
auf Schutt und morschen Steinen.
Blinde Asseln perlen
aus den Rissen in den Fundamenten,
rollen auf den harten Rücken.
Sie winken mir mit vierzehn Beinen,
die lange noch in Wellen oszillieren,
bevor die Anverwandten still verenden.

Dieses Haus gehört nicht mir.
Es ist geliehen von den grauen Panzertieren.


Dieses Haus gehört mir nicht.
Mein Herzschlag pulst und wölbt die Wand,
dehnt Böden, Dielen, Decken.
Auf Tapeten wachsen,
bleich, als wäre ich von Pilz befallen,
feine weiße Aderwerke,
halbfeuchte Spuren, wie von Schnecken,
die hygroskopischen Salpeterblüten,
aus eisig blutleer schimmernden Kristallen.
Es gehört nicht mir, dies Haus.
Es ist verpfändet an das Netz der Leukozyten.

 

 

Dieses Haus gehört mir nicht.
Latenzen lagern unterm Dach,
in Kästen und Vitrinen.
Schnäbel, Federn, Flügel
schwirren dort. Die fremden Brutgeschwader
trugen mich durch hohe Luken
in skoliotischen Kaminen.
Der Bau mit Speichern und geheimen Kisten
liegt fern, ist nur noch ein Katasterquader.
Nein. Dies Haus gehört nicht mir.
Ich ließ es denen, die in den Mansarden nisten.



"Der Plot eines Textes ist plötzlich da ... Ich weiß auch nicht, wo er herkommt."

Hörfunk-Interview zur Verleihung des 20. Nordhessischen Literaturpreises

 

2022 habe ich den 20. Nordhessischen Literaturpreis gewonnen. Vielen Dank an Susanne Holbein vom "Medienblitz", die dieses Interview für das Freie Radio Kassel mit mir geführt hat.